Informationelle Selbstbestimmung

Aus Datenschutz-Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist im bundesdeutschen Recht das Recht des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen. Es handelt sich dabei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um ein Datenschutz-Grundrecht, das im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland nicht ausdrücklich erwähnt wird. Der Vorschlag, ein Datenschutz-Grundrecht in das Grundgesetz einzufügen, fand bisher nicht die erforderliche Mehrheit. Personenbezogene Daten sind jedoch nach Artikel 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geschützt.


Allgemeines

Der Begriff des informationellen Selbstbestimmungsrechts geht zurück auf ein Gutachten von Wilhelm Steinmüller und Bernd Lutterbeck aus dem Jahre 1971. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und wurde vom Bundesverfassungsgericht im so genannten Volkszählungsurteil (BVerfG, 1 BvR 209/83 vom 15.12.1983) 1983 als Grundrecht anerkannt. Ausgangspunkt für das Bundesverfassungsgericht ist das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, also Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (unter C II 1. des Urteils; Rn 152).

Die freie Selbstbestimmung bei der Entfaltung der Persönlichkeit werde gefährdet durch die Bedingungen der modernen Datenverarbeitung. Wer nicht wisse oder beeinflussen könne, welche Informationen bezüglich seines Verhaltens gespeichert und vorrätig gehalten werden, werde aus Vorsicht sein Verhalten anpassen. Dies beeinträchtige nicht nur die individuelle Handlungsfreiheit sondern auch das Gemeinwohl, da ein freiheitlich demokratisches Gemeinwesen der selbstbestimmten Mitwirkung seiner Bürger bedürfe. „Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß.“

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung leitet sich nach Ansicht des Europäischen Parlamentes auch aus Artikel 8 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention ab: „Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.“ (Europäische Menschenrechtskonvention: Art. 8 (1))' Aufbauend auf dieser Begründung hatte das EU-Parlament gegen die EU-Kommission Klage erhoben, weil die verbindliche Speicherung der Verkehrsdaten der EU-Bürger gegen diese Regelung verstoße.

Schutzbereich

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist weit gefasst. Es wird nicht unterschieden, ob mehr oder weniger sensible Daten des Einzelnen betroffen sind. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass unter den Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten der Informationstechnologie auch ein für sich gesehen belangloses Datum einen neuen Stellenwert bekommen könne und es insoweit keine belanglosen Daten gebe.

Eingriffe

Einschränkungen des Grundrechts seien zwar möglich, bedürften aber einer gesetzlichen Grundlage. Dabei habe der Gesetzgeber abzuwägen zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen und dem öffentlichen Informationsinteresse der verarbeitenden Stelle.

Einschränkungen sind nur zulässig im überwiegenden Allgemeininteresse. Sie bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, die dem Gebot der Normenklarheit entsprechen muss.

Es wird differenziert zwischen Maßnahmen, die ohne oder gegen den Willen des Betroffenen vorgenommen werden, und solchen, die freiwillig erfolgen. Für erstere muss die gesetzliche Ermächtigung auch „bereichsspezifisch, präzise und amtshilfefest“ sein. (Volkszählungsurteil, BVerfG, 1 BvR 209/83 vom 15.12.1983)

Zudem kann man unterscheiden zwischen anonymisierten Daten, die keinen Rückschluss auf den Betroffenen zulassen (z. B. für statistische Erhebungen), und zwischen Daten, die personalisierbar sind. Bei anonymisierten Daten ist die Zweckbindung gelockert, für Daten, die personalisierbar sind, gilt eine strenge Zweckbindung. Der Gesetzgeber muss Vorkehrungen treffen, um Datenmissbrauch zu verhindern (Verfahrensvorschriften, Datenschutzbeauftragte, …).


Kritik

Gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG sind Grundrechte ausschließlich „durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes“ einschränkbar. Art. 2 Abs. 1 GG, worunter die so genannte „informationelle Selbstbestimmung“ durch das Volkszählungsurteil der BVerfGE 65, 1 subsumiert wird, ist nicht gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG einschränkbar, sondern es wird ausschließlich unter der Berücksichtigung seiner verfassungsimmanenten Schranken gewährt, also soweit „nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz“ verstoßen wird.

Mit der Einführung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung hat das BVerfG jedoch einfachgesetzliche Einschränkungen des Art. 2 Abs. 1 GG (z. B. Vorratsdatenspeicherung) zugelassen, ohne dass diese Einschränkungen durch oder aufgrund eines Gesetzes grundgesetzlich normiert wären, da der entsprechende Wortlaut nicht in Art. 2 Abs. 1 GG enthalten ist.

Daraus ergibt sich folgende grundgesetzlich nicht gelöste Situation: Entweder ist Art. 2 Abs. 1 GG nicht gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG „durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes“ einschränkbar, wovon auch die informationelle Selbstbestimmung betroffen wäre, oder aber Art. 2 Abs. 1 GG ist (ohne grundgesetzliche Ermächtigung) durch die entsprechende BVerfGE einschränkbar ausschließlich im Sinne des Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG. In diesem Falle würde jedes das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung einschränkende einfache Gesetz den Gültigkeitsvoraussetzungen gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG – Zitiergebot – unterliegen. Demnach „muß das Gesetz das Grundrecht [hier Art. 2 Abs. 1 GG, Anm.] unter Angabe des Artikels nennen“. Im Gegensatz dazu lässt die aktuelle Praxis der Gesetzgebung und Rechtsprechung einerseits die nicht durch Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG legitimierte einfachgesetzliche Einschränkung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung zu und verweist gleichzeitig auf dessen Charakter seiner verfassungsimmanenten Schranken, durch welche ein das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, also Art. 2 Abs. 1 GG, einschränkendes einfaches Gesetz nicht der Erfüllung der Gültigkeitsvoraussetzung für derartige Gesetze gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG – Zitiergebot – unterliegen würde. Daraus ergibt sich unweigerlich die Praxis der Einschränkung von Grundrechten ohne grundgesetzliche Legitimation unter Umgehung der dafür erfüllt sein müssenden Gültigkeitsvoraussetzungen, deren Nichterfüllung gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG – Zitiergebot – die Nichtigkeit des betreffenden Gesetzes zur Folge hat.


Auswirkungen

Das informationelle Selbstbestimmungsrecht wurde die Grundlage für die bestehenden Datenschutzgesetze wie das Bundesdatenschutzgesetz oder die Landesdatenschutzgesetze und beeinflusste auch die Entwicklung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutzrichtlinie).

Auch in jüngerer Zeit hat das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung eine große Rolle gespielt. So wurde die Rasterfahndung in Nordrhein-Westfalen für verfassungswidrig erklärt;[1] die §§ 100c und 100d StPO (der sogenannte Große Lauschangriff) mussten um einen Straftatenkatalog und um explizite Löschungsvorschriften ergänzt werden (BVerfG, 109 vom 279).

Ausspähen

Das Ausspähen privater Daten aus einem staatlichen Interesse heraus ist strengen Beschränkungen unterworfen. Es bedarf nach dem Legalitätsprinzip generell der gesetzlichen Regelung und nach den Grundsätzen der Gewaltenteilung der richterlichen Anordnung. Nach bestimmter Frist muss dem Ausgespähten zudem Kenntnis über den Vorgang gegeben werden. Eine beabsichtigte Ausspähung auf Vorrat wird damit kaum in Gesetzesrang kommen.

Zuletzt hat das Bundesverfassungsgericht die gesetzlichen Regelungen des Landes Nordrhein-Westfalen als verfassungswidrig gekippt.[2] Klarstellungen des Bundesministeriums des Innern werden für die entsprechenden bundesgesetzlichen Regelungen erwartet.

Vereinbarungen

Unter der Maßgabe der aktuellen Rechtsprechung (s. o.) bedarf jede Verknüpfung personenbezogener Daten für Zwecke Dritter der Zustimmung, wenn der Rechtsanspruch der Beteiligten nicht eingeschränkt sein soll. Dazu sind Vereinbarungen möglich, die zwischen den Beteiligten getroffen werden und damit die ausdrückliche Zustimmung der Beteiligten dokumentieren. Es kann nicht durch Vereinbarung zweier Parteien eine Gültigkeit für Dritte erreicht werden. Im Umkehrschluss kann ebenso eine Vereinbarung zwischen zwei Parteien nicht durch eine Vereinbarung mit Dritten aufgehoben oder unwirksam werden.

Insoweit ist im Zusammenhang mit neuen Techniken und Verfahrensweisen (Technologien) davon auszugehen, dass eine Verletzung der Rechte der informationellen Selbstbestimmung beispielsweise durch Einrichtungen zur Ortsbestimmung technisch möglich ist.[3] Diese technische Möglichkeit aber generell als gesetzeswidrig auszuschließen, ist keine haltbare Position. Dies wird allein durch die bekannten Einrichtungen der Mobilfunktechnik bestätigt.[4]

Verstöße

Nutzt ein Unternehmen für den Betroffenen erkennbar persönliche Daten, hat der Betroffene generell einen Rechtsanspruch auf Auskunft über die Speicherung dieser Daten und den Verwendungszweck dieser Daten. Geht die Speicherung über einfache Adressdaten hinaus, hat der Betroffene generell einen Rechtsanspruch auf Löschung der Speicherung dieser Daten, wenn er mit dem Unternehmen keine Vertragsbeziehungen hat.

Wird ein Unternehmen beispielsweise durch Werbeaktionen lästig, kann der Betroffene in jedem Einzelfall durch Formschreiben unter Angabe der Adresse Auskunft einholen. Erfolgt keine Auskunft durch das Unternehmen, sollte der Betroffene die rechtlichen Mittel nutzen, per Abmahnung durch einen Rechtsanwalt oder Klage bei Gericht Auskunft und Löschung durchzusetzen. Die Kosten trägt zunächst der Betroffene.


Literatur

  • Spiros Simitis: Die informationelle Selbstbestimmung – Grundbedingung einer verfassungskonformen Informationsordnung. In: Neue Juristische Wochenschrift 1984, S. 398–405.
  • Hans-Ullrich Gallwas: Der allgemeine Konflikt zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und der Informationsfreiheit. In: Neue Juristische Wochenschrift. 1992, S. 2785–2848.
  • Marion Albers: Informationelle Selbstbestimmung. Nomos-Verlag, Baden-Baden 2005, ISBN 3-8329-1133-2.
  • Wilhelm Steinmüller: Das informationelle Selbstbestimmungsrecht -- Wie es entstand und was man daraus lernen kann In: Recht der Datenverarbeitung 2007, S. 158–161. (eine leicht unterschiedliche Version findet sich in FifF-Kommunikation 3/2007)
  • Reinhard Riegel: Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden. 2. Auflage. Heymanns, Köln 1992, ISBN 3-452-22446-5.
  • Uwe Krähnke: Selbstbestimmung. Zur gesellschaftlichen Konstruktion einer normativen Leitidee. Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2007, ISBN 978-3-938808-11-5.
  • Helmut Bäumler, Astrid Breinlinger, Hans-Hermann Schrader (Hrsg.): Datenschutz von A–Z. Luchterhand, Neuwied 1999, ISBN 3-472-03332-0 (Stichwort „Informationelle Selbstbestimmung“).
  • Klaus Vogelgesang: Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung? Nomos Verlagsgesellschaft. Baden-Baden 1987. ISBN 3-7890-1446-X.

Weblinks

Einzelnachweise


Dieser Text wurde aus dem Datenschutz-Wiki der BfDI übernommen. Bearbeitungen vor dem 16.April 2016 stehen unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland.